Heute ist an der Schule Abschlussfeier für die Abiturienten. Der Platz vor der Schule ist gut gefüllt. Viele Leute sind gekommen, für das Dorf ist es ein großes Ereignis. Das sieht man auch daran, wie die Menschen angezogen sind: Schicker als in der Oper in Berlin.
Dass es die Abifeier sein soll, verstehe ich erst viel später. Ich denke zuerst, dass die Erstklässler eingeschult werden, da die Abschlussklase noch nicht auf den vorgesehenen Stühlen sitzt.
Zunächst einmal wird die Hymne von Kasachstan gespielt. (In dem Link kann man sich den Text auf deutsch durchlesen.)
Alle drehen sich zur Flagge. Nur ich bin verwirrt, da ich nicht weiß, wie man das macht. In Deutschland ist es ja nicht üblich mit Hand auf die Brust aber zur Fahne hin zu singen. Hier scheint das aber ganz normal. Dann folgt das Kulturprogramm. Kleine Mädchen in weißen Kleidern treten auf. Sie sind rausgeputzt als wäre eine Hochzeit.
Sie tanzen einen Tanz, der durch den kasachischen Gesang einen orientalischen Hauch hat, auch die Bewegungen sind dementsprechend.
Kasachisch ist eine Turksprache. Das ist die offizielle „Staatssprache“ in Kasachstan und die Sprache der Kasachen untereinander. Sie machen ungefähr die Hälfte der Bevölkerung in Kasachstan aus. Alltagssprache hier im Norden ist aber Russisch, das ist eine slawische Sprache. Die Sprachen klingen also ganz anders. Russisch ist neben Kasachisch in Kasachstan Amtssprache, also die Sprache für öffentliche Organisationen.
Im Dorf ist alles zweisprachig. Auch die Schule in Nowo-Ilyinowka hat eine kasachischsprachige und eine russischsprachige Abteilung. Viele Kasachen hier gehen trotzdem in die russischsprachige Abteilung. Nur die Kasachen nicht, die aus China oder der Mongolei zum Beispiel hierhin umgezogen sind. Sie können kein Russisch. Es gibt Kasachen in China, in der Türkei, in der Mongolei, in Russland oder auch in Usbekistan. In China und der Mongolei sind die Kasachen sehr arm, deshalb sind viele nach Kasachstan gekommen und in die Häuser eingezogen, die von den Russland-Deutschen zurückgelassen worden, die jetzt in Deutschland leben.
Die Abiturienten sitzen jetzt im Halbrund auf Stühlen. Die Direktorin Elena Alexandrowna (die Tochter meiner Gastmutter) hält zu jedem Schüler eine Ansprache. Alle kommen nach vorn, um ihre Zeugnisse entgegenzunehmen.
Manche bekommen Geschenke von ihren Verwandten. Mir wird etwas langweilig und ich werde von vielen Mücken und Mosquitos angegriffen, da ich vergessen habe mich einzusprayen.
Plötzlich gehen alle Abiturienten in die Mitte unseres Kreises und fangen an zu tanzen. Es ist ein ca. sechsminütiges Medley von teils westlichen teils kasachischen teils russischer oder auch klassischer Musik. Es gibt auch einige Lieder aus den 80ern.
Am Ende wird eine Schachtel geholt. Darin sind Tauben. Es wird immer kitschiger, wenn man die Deko des Eingangs betrachtet.
Es wird noch besser, da die Tauben zusammen in einem Schwarm bleiben und ihre Runden über der Schule ziehen, bis sie sich dann langsam in Grüppchen verstreuen.
Am Ende der Veranstaltung treffe ich meine neuen Bekannten aus dem Flugzeug wieder. Natürlich sind sie auch zu der Feier gekommen. Sie fragen, ob mit mir alles ok ist und ob ich irgendetwas brauche. Ich berichte von meinen Abenteuern.

Mit Natalia Iwanowna (links, ehem. Stellv. Direktorin) und Elena Alexandrowna (Direktorin)
Natalia stellt mich ihren Lehrer-Kollegen vor. Wir machen ein Foto mit der Direktorin, ihrer Tochter. Am Ende gehen wir nach Hause mit der Schwester des Schwagers von Natalia und ihren zwei Kindern plus den zwei Kindern des Schwagers. Großfamilie.
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