Meine Schule in Volzhskiy gehört zur Altstadt und wurde in den späten 50er Jahren errichtet. (Die Stadt selbst entstand ab 1957, um für die Arbeiter des Wolgograder Wasserkraftwerks Wohnungen zu schaffen.) Die Schule feierte vor kurzem 65. Geburtstag und kann sich deshalb mit gutem Gewissen No.1 nennen.

Schule No. 1, Volzhskiy, Russland
Das Motto der Schule lautet: „Schule Nummer 1, wir sind immer Nummer 1“. Das bezieht sich vor allem auf Wettbewerbe, die in Russland sehr beliebt sind. Es gibt Wettbewerbe für Sprachen, für Mathe, für Naturwissenschaften, für Kunst, für Sauberkeit, für alles mögliche.
Die Schule ist in zwei getrennte Gebäudekomplexe unterteilt. Der eine beherbergt Schüler von der 1. bis zur 4. Klasse und der Hauptkomplex Schüler von der 5. bis zur 11. Klasse. Ich bin im Hauptkomplex, denn ich besuche inzwischen die 10. Klasse. Gerade sind wieder einmal Ferien, denn obwohl die Sommerferien in Russland volle 3 Monate dauern, gibt es alle 5 Wochen eine Woche Ferien. Zum Glück, denn so habe ich endlich mal Zeit, hier was zu schreiben.

Im Unterricht
Ich betrete die Schule immer mit einem mulmigen Gefühl, denn an der Fassade bröckelt der Putz und auch sonst sieht nicht unbedingt alles so aus, als ob der deutsche TÜV hier nichts zu meckern hätte. (Man fühlt sich also als Berliner Schüler fast wie zu Hause.) Aber dann wird man auf Anfrage sofort von den russischen Schülern beruhigt, dass da noch nie etwas passiert sei und es deshalb sicher ist. So bekommt man gleichzeitig ein Gefühl für die russische Seele. Sie unterscheidet sich sehr von der deutschen. Wir in Deutschland planen, denken uns Szenarien aus, schaffen Gesetze und fangen nach jahrelanger Vorbereitung dann endlich an zu bauen… In Russland macht man einfach.
„Noch nie was passiert“, das war auch die Antwort als ich anmerkte, dass ein Stromkabel drei Meter über den Boden diagonal über den Hof zu spannen vielleich nicht gerade die beste Lösung sei. Vor allem, wenn die Distanz zum Schulgebäude 50 Meter beträgt und kein Stützmast eingebaut wurde. Auch der Mast am Rand des Schulgelände rostet… Aber darüber mache ich mir jetzt mal auf russische Art keine Sorge – es ist ja noch nichts passiert.
Das Schulsystem in Russland…

Mein Stundenplan
…unterscheidet sich von unserem in Deutschland. Statt unseren 12 Jahren haben Schüler hier nur 11 Jahre Schule, was sich jedoch nicht auf das Abschlussalter auswirkt. Denn hier kommt man erst mit 7 Jahren in die Schule. Jedoch lernt man schon im Kindergarten lesen und schreiben. So fällt unsere 1. Klasse in Russland weg.
Das markanteste Merkmal, in dem sich das Schulsystem unterscheidet, ist der Verlauf der Oberstufe. In Deutschland wird in der Oberstufe das Klassensystem aufgelöst und das Kurssystem einführt. Hier können sich die Schüler individuell entfalten. In Russland hingegen findet ein solcher Bruch nicht statt. Es geht weiter im alten Trott. Die Klasse verändert sich zwar, da viele Schüler nach der 9. Klasse eine Ausbildung machen und die Schule verlassen, aber der Unterricht findet weiter in allen Fächern statt. Diese fehlende Selektion und die dazukommende fehlende Schulzeit machen den Schulalltag doppelt schwer.

Chemiekabinett
Ganz oberflächlich wird man sofort feststellen, dass sich auch die Art zu unterrichten von unserer sehr unterscheidet. Es gibt vor allem Frontalunterricht. Seit ich hier bin, gab es noch kein einziges Handout. Die Informationen werden manchmal an die Tafel geschrieben, noch häufiger aber werden sie vom Lehrer einfach diktiert. So sind die Schüler immer sehr viel mit Schreiben beschäftigt, diskutiert wird nie. In allen Fächern existieren kleine Hefte, die etwas breiter sind als unsere DIN A5 Hefte. In ihnen schreibt man alles mit, was der Lehrer sagt und diktiert.
Für mich heißt das, dass ich nur wenig verstehe und keine Mitschriften habe, da ich kyrillisch nicht so schnell schreiben kann. Die Handschriften meiner Klassenkameraden kann ich leider nicht entziffern, weil ich nur die Standardschrift lesen kann. Ich hoffe, das wird bald besser. Im Unterricht beschäftige ich mich deshalb oft mit meinen Russisch-Lehrbüchern oder versuche mit Google-Translate zumindest zu ergründen, worum es gerade geht. Zu Hause arbeite ich den Stoff in den Fächern Mathe, Physik, Bio und Chemie so gut es geht online nach. Oft ist es gerade in Naturwissenschaften allerdings Stoff, der bei uns in der Schule gar nicht mehr drankommt, oder nur im Leistungskurs Abitur. Technologie, Geschichte und Sozialkunde muss ich erstmal weglassen, da die Inhalte ganz anders sind und ich dazu online nichts auf deutsch oder englisch finde.

Sportplatz
Ganz anders ist auch der Sportunterricht. In meiner Schule in Berlin haben wir sehr oft Mannschaftsspiele gespielt. Hier geht es immer um Wettbewerb: Wer springt höher, schneller, weiter. Auch das Drumrum ist für mich ungewohnt. Wir müssen in Reih und Glied stehen, „Hände an die Hosennaht“ und so weiter, wer sich nicht im Gleichschritt bewegt, bekommt einen Rüffel. Wie in der Armee! Das kenne ich nur aus Filmen, das war für mich am Anfang sehr skurril. Aber mein Gastbruder hat gar nicht verstanden, dass ich mich darüber gewundert habe. Also wundere ich mich jetzt auch nicht mehr.
Es gibt eine Schulkantine, in der man sich Tee und Gebäck kaufen kann. Leider sind die Pausen immer sehr kurz.

Schulkantine
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